Die Ameise als Tramp

f. Wissenschaftspublizistik, 2001
Rezensionen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.3.1999
Der Ratte fallen die tollsten Sachen ein.
Nager, Nager, du mußt wandern: Bernhard Kegel folgt den Spuren tierischer Migranten, die sich von der neuen Heimat den Doppelfraß versprechen.
Von Diemut Klärner
Weltabgeschieden ist Guam schon lange nicht mehr. Als Stützpunkt der Vereinigten Staaten beherbergt die größte Insel der Marianen ein gut sortiertes Ensemble militärischer Anlagen. Abseits dieser martialischen Infrastruktur blieb sie jedoch leidlich grün mit einer inseltypischen Flora und Fauna. Elf verschiedenartige Waldvogel tummelten sich auf Guam - bis es in den siebziger Jahren mit dieser munteren Vogelschar plötzlich rasant bergab ging. Den Schuldigen zu finden war unerwartet schwierig. Das Schicksal der Vögel war schon besiegelt, als die Biologen ein unscheinbares Reptil als Übeltäter entlarvten: die braune Nachtbaumnatter, Boiga irregularis. Ursprünglich in der Inselwelt des Südpazifiks zu Hause, hat sie sich wohl im Frachtraum eines Militärflugzeugs nach Guam geschmuggelt. Dort blieb das licht scheue Gesindel meist im verborgenen, sorgte aber fleißig für Nachwuchs und entwickelte einen solchen Appetit, daß es Mitte der achtziger Jahre still wurde in Guams Wäldern: Die gefiederten Sänger waren spurlos verschwunden. Nun mußten die Schlangen mit Mäusen und Eidechsen vorliebnehmen, und allmählich wurde auch diese Verpflegung knapp. Immer noch zahlreich, begannen die Nachtbaumnattern sogar hin und wieder, schlafende Menschen zu attackieren.
Bernhard Kegel weiß diesen Albtraum einer Schlangeninvasion sehr anschaulich zu schildern. Stets fachkundig. aber niemals langatmig, erzählt der Berliner Biologe von den Zugereisten in Fauna und Flora. Nicht immer kommen sie heimlich als blinde Passagiere. Manches Getier, das die Neuseeländer heute als "Pest" verfluchen, hatten die europäischen Siedler einst mit viel Mühe auf die entlegenen Inseln verfrachtet. Zum Gepäck gehörten neben Nutzpflanzen und Haustieren auch Rebhuhn und Hase, Hirsch und Gemse. Die Importe waren aber nicht nur für Landwirtschaft, Jagd und Fischfang bestimmt. Da die Fremde zur Heimat werden sollte, durften Amsel, Drossel, Fink und Star ebensowenig fehlen wie Lerchengesang auf den Feldern. Andere Kontinente haben ebenfalls ihren Teil zu Nenseelands Tierwelt beigesteuert, und die Pflanzenwelt ist nicht minder bunt zusammengewürfelt. Die Hälfte der Gewächse hat erst vor kurzem in fremder Erde Wurzeln geschlagen. So mancher neuseeländische Fluß wird von europäischen Pappeln und Weiden gesäumt, ganze Berghänge sind mit amerikanischen Kiefern bepflanzt, und an den Straßenrändern blühen Löwenzahn und Schafgarbe zwischen Blumen aus Südafrika und Australien. Die einheimische Flora und Fauna steht derweil mit dem Rücken zur Wand.
Während die gleichnamigen Früchte in Mengen angebaut und exportiert wurden sind gefiederte Kiwis rar geworden. Die Neuseeländer scheinen allerdings wild entschlossen, zu retten, was noch zu retten ist. Mit welchem Aufwand sie gefährdete Arten umhegen, hat den Autor sichtlich beeindruckt: "Das Kiwi-Gehege ist ein Hochsicherheitstrakt der besonderen Art. Hier wird nicht ein-, sondern ausgesperrt, nach allen Regeln der Kunst. In dem großen Freigehege wachsen die geschlüpften Kiwis behütet heran, bis sie alt genug sind, angreifenden Raubtieren eine anständige Tracht Prügel zu verpassen." So fürsorglich einheimische Raritäten betreut werden, so wenig zimperlich verfährt man mit unerwünschten Fremdlingen. Bisweilen wird Naturschutz zu einem blutigen Handwerk mit tödlichen Fallen und vergifteten Ködern. Manchem Tierfreund mag sich dabei der Magen umdrehen. Doch wo Kiwis und Baumfarne gedeihen sollen, so gibt der Autor zu bedenken, sind verwilderte Hauskatzen ebenso fehl am Platz wie Ratten und Wiesel.
Ursprünglich war Neuseeland ein Vogelland. Die Säugetiere waren dort nur mit drei Arten von Fledermäusen vertreten. Seit Vierbeiner mit flinken Pfoten dazukamen, sind kaum mehr als tausend Jahre vergangen. Damals entdeckten die Maoris die Inseln und brachten die polynesische Ratte mit. Die europäischen Siedler hatten ein weit größeres Gefolge im Schlepptau, darunter tüchtige Jäger mit scharfen Krallen und spitzen Zähnen. Arglos und nicht sonderlich wehrhaft, wurde die einheimische Fauna von den Neuankömmlingen arg dezimiert. Auch die Pflanzen hatten, wo sie nicht ohnehin der Landwirtschaft weichen mußten, unter den Invasoren zu leiden. Denn Kaninchen und Hirsche fanden bald Geschmack an neuseeländischem Grün. Wer Neuseelands biologischem Erbe ein Refugium schaffen will, darf sich deshalb gegenüber fremdländischen Arten nicht duldsam zeigen.
Hierzulande können wir gelassener bleiben. Gewiß haben Importe wie Kartoffelkäfer und Reblaus beträchtlichen Schaden angerichtet. Doch hiesige Krabbeltiere tun sich ebenfalls in Feld und Garten gütlich. Die Grenze zwischen fremden und einheimischen Arten ist ohnehin nicht so leicht zu ziehen. Soll man Kornblume und Klatschmohn als Fremdkörper betrachten, weil sie erst mit dem Ackerbau ins Land kamen? Im Gegensatz zu Neuseeland ist Mitteleuropa eine alte Kulturlandschaft, seit Jahrtausenden von Menschen geprägt. In letzter Zeit hat die Zahl der eingeschleppten Tiere und Pflanzen allerdings kräftig zugenommen. Und damit auch die Gefahr, daß sich manche zur Plage entwickeln. Viel leicht werden wir noch ähnlich unliebsame Überraschungen erleben wie die Texaner mit den stechlustigen Feuerameisen: Aus Brasilien eingeschleppt, machen diese aggressiven Insekten nun die Südstaaten unsicher.
Solange sie zu Hause bleiben, ist den Arten meist nicht anzumerken. was sie in der Fremde anstellen werden. Die braune Nachtbaumnatter, die unter den Waldvögeln von Guam so gründlich aufgeräumt hat, läßt die Vogelwelt des Südpazifiks offenbar ungeschoren. Doch der Autor begnügt sich nicht mit einer Bilanz ökologischer Katastrophen. Mit einer Fülle prägnanter Beispiele gelingt es ihm, ein sehr differenziertes Bild zu zeichnen. Probleme der biologischen Schädlingsbekämpfung werden dabei ebenso einbezogen wie Aspekte der Populationsgenetik.
Zuweilen können zudringliche Neubürger alteingesessene Arten regelrecht genetisch unterwandern. In Nordamerika etwa ist die europäische Stockente der seltenen mexikanischen Ente so innig zugetan, daß es inzwischen nur noch gemischte Nachkommenschaft gibt. Auch die Produkte der Gentechnik verdienen in diesem Zusammenhang Beachtung. Schließlich muß man nicht nur damit rechnen, daß transgene Nutzpflanzen aus der Obhut des Menschen entwischen. Bei passender Gelegenheit sind sie nachweislich auch gerne bereit, ihre artfremden Gene an verwandte Wildpflanzen weiterzugeben.
Informativ und unterhaltsam zugleich, bietet dieses Buch ein außergewöhnliches Lesevergnügen. Selten verbindet sich fundierte Sachkenntnis so erfreulich mit erzählerischen Qualitäten. Bernhard Kegel hat nicht nur viel Wissenswertes zusammengetragen. Er versteht es auch, Wissenschaft alltagstauglich zu machen. Vielleicht wird der eine oder andere Leser künftig aufmerksamer hinschauen, wenn amerikanische Rotwangenschildkröten im Badesee herumplanschen und ein Springkraut aus dem Himalaja den Wegesrand schmückt. Weit davon entfernt, jedes exotische Blümchen zu verteufeln, rät der Autor doch eindringlich zur Vorsicht. Denn wer einmal Fuß gefaßt hat, wird voraussichtlich bleiben. Mißliebige Arten wieder zurückzudrängen ist nicht nur kostspielig und mühselig. Gewöhnlich entpuppen sich solche Versuche auch als Sisyphusarbeit.
Die Zeit vom 25.3.1999
Der Feind aus Nachbars Garten
Bernhard Kegel warnt vor der biologischen Invasion fremder Tier- und Pflanzenarten
Von Josef H. Reichholf
Viele kamen ins Land, weil man sie einst holte und ihnen besondere Aufgaben zudachte. Andere kamen ganz von selbst, unbemerkt und ungebeten. Doch nun breiten sie sich über den Globus aus und rufen Angst und Schrecken hervor: Die Rede ist von den sogenannten invasiven Arten, von Tieren, Pflanzen und Mikroben also, die von einem Land zum anderen wandern und sich in ihrer neuen Heimat ungebührlich breitmachen.
Mit großer Akribie und noch größerem Engagement hat der promovierte Biologe und Schriftsteller Bernhard Kegel eine aktuelle Bilanz gezogen. Er folgt den Spuren der Ameisen und Marderhunde, der Waschbären, Wiesel und der vielen anderen Arten rund um den Globus, die manchenorts als Plage eingestuft werden. Da wären zum Beispiel die sogenannten Tramp-Ameisen, die dem Menschen überallhin folgen. Im brasilianischen Itapirica gingen sie von Schiffen an Land, die Ausrüstung für einen Dammbau anlieferten. "Bald gab es in Itapirica keine Wohnung mehr, in der die Füße von Kinderkrippen, Betten und Vorratsschränken nicht in Schalen mit Wasser standen", schildert Kegel die Folgen.
Der Autor, der bisher mit wissenschaftlich inspirierten Romanen bekannt geworden ist (Das Ölschieferskelett, 1996, und Wenzels Pilz, 1997) greift in seinem ersten reinen Sachbuch ein schier unerschöpfliches Thema auf, unzufrieden mit den Fachleuten, die sich eigentlich mit der Problematik befassen müßten. "Die deutschen wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind für die breite Öffentlichkeit nicht existent. Man beschäftigt sich dort fast ausschließlich mit sich selbst", lautet sein Verdikt mit Seitenhieb auf die Deutsche Zoologische Gesellschaft. Macht er es besser?
Der Umgang mit den Fremden fällt bekanntlich schwer. Objektiv und unparteiisch zu bleiben ist kaum möglich. Daß aber eine gewisse Parteilichkeit nicht gleich zur groben Schlagseite werden muß, beweist der Autor bei diesem Thema auf anerkennenswerte Art.
In zuweilen mitreißender Form schildert er zunächst die Ausgangsverhältnisse in den zwei gegensätzlichen Regionen Neuseeland und Mitteleuropa. Dann illustriert er den Einfluß der Invasoren an Beispielen aus der Welt der Säuger und Vögel, der Fische, anderer Wassertiere und Insekten. Die Folgen der Einwanderung: Bestimmte Arten sterben aus, wirtschaftliche Schäden entstehen und "fremde Gene" dringen ins Erbgut ein. Das ist zwar alles hinlänglich bekannt, aber im Gegensatz zu den üblichen platten Schlußfolgerungen geht Bernhard Kegel weiter. Er sucht nach den Mechanismen, die zum besonderen Erfolg mancher Arten führten, und fragt, ob es denn Möglichkeiten zu einer Vorhersage gibt.
Erstaunliches kommt dabei zutage: Viele Pflanzen etwa waren schon lange da, 100 bis 150 Jahre, bevor sie begannen, sich auszubreiten und Probleme zu verursachen. Was jahrzehntelang für ein harmloses Gartengewächs gehalten wurde, das auf die Sorge und Pflege des Menschen angewiesen schien, entpuppte sich plötzlich als höchst potenter Eroberer, der nicht mehr unter Kontrolle zu bringen war.
Und während Tausende fremder Arten im Laufe der Zeit in ein neues Gebiet einwanderten, gelang es nur wenigen, sich dauerhaft festzusetzen. Noch weniger entglitten der Kontrolle durch den Menschen oder "der Natur". Offenbar gilt eine grobe Zehnerregel: Von 1000 zugewanderten Arten können sich etwa 100 etablieren, und von diesen werden kaum mehr als 10 zu Problemarten. Leider kann bis heute niemand voraussagen, welche die 990 harmlosen und welche die 10 gefährlichen Arten sind.
Die "Antwort" also, die Bernhard Kegel suchen wollte, gibt es offenbar nicht. So bleibt ihm letztlich nichts weiter übrig, als sich dem mitunter recht schrillen Chor der Warner anzuschließen, sosehr er auch nach Auswegen sucht. Am Ende steht die Forderung nach Vorsorge: Barrieren gegen Fremdarten errichten, abfangen, wo immer das möglich erscheint.
Das Verteufeln der fremden Arten soll dazu die nötige emotionale Ablehnung aufbauen helfen: ein nicht unproblematisches Vorgehen, ja ein höchst gefährlicher Weg. Das weiß auch der Autor, und er weist klammheimlich darauf hin. Doch damit ist es nicht getan. Schließlich entstand das Ungleichgewicht zwischen "Geber" und "Empfängerländern" nicht zufällig. Sogar bei dem ausführlich behandelten Beispiel Neuseeland kann Bernhard Kegel nicht umhin, auch ein klein wenig auf den eigentlichen Verursacher hinzuweisen: Neben 3,6 Millionen Einwohnern leben auf dem isolierten Inselland 70 Millionen Schafe und 8 Millionen Rinder. Schuld an der Invasion fremder Arten ist hier also die Europäisierung einer höchst empfindlichen Inselwelt und nicht etwa die bösartige Natur der zugewanderten Arten an sich!
Auch in Mitteleuropa leben die meisten gebietsfremden Arten in Städten und auf dem sogenannten Kulturland. Daß Mais und Getreide, Kartoffeln und andere Monokulturen längst das Gesicht unserer Natur prägen, darüber ist in diesem Buch fast nichts zu lesen. Fremdländische Kornblumen sind da nichts weiter als Farbtupfer in einem hochgezüchteten Massengrün, das höchst attraktiv für andere Arten ist. Die Eindringlinge folgen der Spur des Menschen. Und die Schäden, die sie verursachen, treffen in der Hauptsache jene, die ihnen erst den Boden bereiteten. Das erkennt auch Bernhard Kegel an: "Fatalerweise bereitet der Mensch der grassierenden Homogenisierung (der Natur) gleich auf zwei Ebenen den Boden: Durch Import und Verschleppung fremder Arten ... und durch die Zerstörung und Schwächung der vorhandenen Lebensgemeinschaften."
Aber die Schlußfolgerung daraus fehlt dann doch: Wer vorrangig die invasiven Arten bekämpft, geht nur gegen die Symptome vor (und das meistens ziemlich erfolglos). Er führt Stellvertreterkriege, während die wahren Ursachen unberührt bleiben.
Dennoch: ein höchst lesenswertes Buch.
Süddeutsche Zeitung vom 26.3.1999
Aggressoren in der Sohle
Achtung vor Ameisen: Eine Studie über biologische Invasionen
Von Susanne Wedlich
Eine undenkbare Begegnung, auf den ersten Blick: Wo könnten europäische Gemsen in freier Wildbahn auf Tahre treffen - eine Bergziegenart aus dem Himalaya? In Neuseeland zum Beispiel, auf den Hochlagen der Südalpen dort. In dem fernen Inselstaat wollten einst europäische Kolonisten alles ansiedeln, was ihnen aus der Heimat vertraut war - ob Nutztier, Kulturpflanze oder jagdbares Wild. Die Erfolgsrate solcher Einbürgerungsversuche stieg nochmals erheblich, als es im letzten Jahrhundert weltweit zur Gründung von Akklimatisationsgesellschaften kam, die nur ein Ziel hatten: den internationalen Artenaustausch.
Zebras als Zugtiere in Frankreich und Antilopen als Fleischlieferanten in England, das sind zwei weitere, glücklicherweise gescheiterte Ansiedlungsversuche die Bernhard Kegel in seinem Buch Über "biologische Invasionen" beschreibt. Doch der Autor beschränkt sich nicht auf Skurriles aus vergangenen Zeiten - noch heute leiden viele Gegenden unter den Folgen von Einbürgerungen und kämpfen, meist vergeblich, gegen weitere Invasionen. Denn mancher eingeführte Exot verdrängt einheimische Arten und stört empfindliche Ökosysteme, wie etwa die aggressiven Tramp-Ameisen.
Sie befinden sich momentan auf einem weltweiten Siegeszug in allen vom Menschen veränderten oder geprägten Lebensräumen, ihrem bevorzugten Biotop. In vielen Fällen biologischer Invasionen ist der wirtschaftliche Schaden beträchtlich, was bereits Bezeichnungen wie "grüner Krebs", "Kettensäge im Pelz" oder "Killeralge" deutlich machen. Eine eigene Disziplin, die Invasionsbiologie, beschäftigt sich mit den Umständen und oft dramatischen Auswirkungen erfolgreicher Einwanderungen. Vor allem die lange von anderen Arten isolierte Fauna und Flora ozeanischer Inseln wird leicht Opfer derartiger - oft ohne besondere Absicht ausgelöster - Invasionen. Im ungünstigsten Fal1 genügt schon ein im Profil der Schuhsohle verschleppter Pflanzensame, der sich am neuen Ort ausbreitet und heimische Arten verdrängt.
Aber auch die Tierwelt ist gefährdet. Wie etwa in Neuseeland, wo fast alle einheimischen Vögel das Fliegen verlernt haben, weil ihnen am Boden keine Gefahr drohte. Das änderte sich schlagartig, als mit den Menschen auch Katzen, Marder und Wiesel auf die Insel kamen. Die flugunfähigen und zudem völlig arglosen Vögel hatten gegen die flinken Räuber keine Chance. Eingeschleppte Ratten, die sich über die Nester und Jungtiere hermachten, besorgten den Rest. Ein Großteil der einheimischen Vogelarten Neuseelands ist bereits ausgestorben. Die wenigen überlebenden Exemplare müssen jetzt oft in aufwendigen Projekten geschützt werden. Dazu gehört auch der Kiwi, das Wappentier Neuseelands. Die besonders gefährdeten Jungvögel werden in einem Gehege großgezogen, das von meterhohen Maschendrahtzäunen und elektrisch geladenen Drähten auf einem Betonsockel umgeben ist.
Neuseeländische Wissenschaftler gelten mittlerweile als weltweit gesuchte Experten der Invasionsbiologie, während sich hierzulande erst langsam das Bewußtsein für die Problematik entwickelt. Dies könnte sich mit Kegels Buch ändern, denn so spannend und unterhaltsam es auch geschrieben ist, es ist eine Dokumentation biologischer Schreckensszenarien. In Europa ist die Situation vergleichsweise wenig dramatisch, aber die Fälle biologischer Invasionen häufen sich und täglich wird eine Vielzahl fremder Tier- und Pflanzenarten eingeschleppt.
Die meisten Einwanderer findet man unter Wasser. In der Tat - fremde Wasserlebewesen treffen vor allem in Deutschland auf ein für sie perfektes Verkehrsnetz: alle wichtigen Wasserstraßen sind über Kanäle miteinander verbunden. Eine schrankenlose Wegstrecke für jene Arten, die es an Deutschlands Küste oder in eines seiner Gewässer geschafft haben. Und das sind einige. Viele Schiffe tanken, wenn sie keine Ladung mitführen, eine entsprechende Menge Ballastwasser, um sich zu stabilisieren. Aber "dieses Wasser ist nicht tot. Es enthält Tausende und Abertausende von Tieren und Pflanzen, von der mikroskopischen Alge bis zum Piranha - den Werftarbeiter in Hamburg entdeckten! In Schiffsballastwasser reisten die Wandermuscheln vom Schwarzen Meer nach Europa und weiter bis in die großen Seen Nordamerikas, die Rippenqualle Mnemiopsis von den amerikanischen Atlantikküsten in das Schwarze Meer, die chinesische Wollhandkrabbe in die Nordsee, giftige mikroskopische Algen von Japan nach Australien." Das Schiff wird am Zielhafen wieder leergepumpt und die blinden Passagiere gelangen in neues Gewässer. Unter günstigen Umständen können sie sich im dortigen Ökosystem durchsetzen, was meist mit der Verdrängung anderer, dort heimischer Arten einhergeht.
Auch an Land gab es in Europa schon äußerst erfolgreiche Invasoren, etwa die nordamerikanische Reblaus. Dem bis dahin unbedeutenden Schädling gelang in Europa ein beispielloser Siegeszug, der allein in Frankreich ein Fünftel der Anbaufläche für Weinstöcke vernichtete. Selbst heute noch können die Winzer eine Ausbreitung der Reblaus nur durch ein spezielles Pfropfverfahren verhindern. In den meisten Fällen ist nämlich die einmal erfolgte Verschleppung einer Art nicht wieder rückgängig zu machen. Kegel plädiert deshalb für mehr Besonnenheit bei der Einführung fremder Arten - auch im Hinblick auf die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen. Sie sind ebenfalls potentielle Invasoren, die mit den einheimischen Arten konkurrieren. Sollten sie sich durchsetzen, kann ihre Ausbreitung nicht mehr verhindert werden.
Auch solcher Warnungen wegen wünscht man diesem Buch eine Menge Leser, vor allem an den richtigen Stellen - auch in der Wissenschaft. Die bisherigen biologischen Invasionen behandelt es umfassend und detailliert, von ihren Anfängen und Mechanismen bis den Folgen und möglichen Gegenstrategien. Einziger Schwachpunkt ist das etwas magere Glossar, in dem beispielsweise weder das Hybrid noch der Hyperparasit oder die Knospung erklärt werden! Dafür aber erfährt der Leser, welche Arten zu biologischen Invasoren werden können: Alle - irgendwann und irgendwo!
Die Welt vom 30.4.1999
Wenn kleine Tiere wandern
Das Kaninchen als Tramp ist gefährlich: Bernhard Kegel folgt den Invasionen in der Biologie
Von Martin Ebel
Wenn ein Weinkenner ein Glas alten Burgunder an die Lippen setzt denkt er nicht daran. In Winzerfamilien dagegen ist die Erinnerung noch sehr lebendig: an die Zeit, da die Reblaus ihre Existenz zu vernichten drohte. Es war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als man aus den USA Weinstöcke einführte, die unempfindlich gegen den Echten Mehltau waren. Mit ihnen kam ein noch viel gefährlicherer Schädling über den Atlantik: eine kleine Laus, die die Wurzeln der Pflanzen attackierte, sich explosionsartig vermehrte und in kurzer Zeit große Teile der Weinberge Europas zerstörte. Hilfe kam, paradoxerweise, wieder aus Nordamerika: Dort ließ die Reblaus die Wurzeln in Ruhe. Also pfropfte man europäische Sorten auf eine amerikanische "Unterlage" - der Weinbau in der Alten Welt war gerettet.
Die Reblaus und der Kartoffelkäfer sind die bekanntesten Beispiele für einen Vorgang, der die Biologen heute dermaßen interessiert, daß er ein eigenes Fachgebiet geworden ist: die Invasionsbiologie. Sie untersucht, was es für Folgen haben kann, wenn man Tiere oder Pflanzen in eine ganz andere Umgebung versetzt. Der Berliner Biologe Bernhard Kegel, bisher mit zwei Öko-Romanen hervorgetreten, hat der neuen Wissenschaft ein Sachbuch gewidmet, das spannend und anschaulich, ja brillant geschrieben ist und wegen der Bedeutung der Sache zu den wichtigsten des Jahres zählt: "Die Ameise als Tramp".
"Invasionen" sind kein neues Phänomen; die meisten Baumarten Mitteleuropas etwa sind nicht schon immer hier gewachsen, sondern erst vor 1000 (oder auch nur 50) Jahren hergekommen. So sind Pflaume und Roßkastanie alte, Forsythie und Robinie junge "Einwanderer". Neu sind heute die Dimensionen: die Schnelligkeit der Ausbreitung und die Strecken, die dabei zurückgelegt werden. Der Mensch reist mit dem Flugzeug um die Welt und transportiert Güter (und Ballastwasser) auf Riesenschiffen; Haustiere, Insekten, Algen oder Samenkörner reisen mit und können, auf einem anderen Kontinent, in eine andere Klimazone versetzt, ökologische Katastrophen anrichten.
Die Schäden, die von räuberischer Fauna oder aggressiver Flora verursacht werden, gehen in die Milliarden. In Mitteleuropa sind solche Katastrophen eigentlich eher selten gewesen; am furchtbarsten hat es vor langer Zeit Irland getroffen, als um 1845 ein eingeschleppter Pilz die Kartoffelernte vernichtete und eine Million Iren verhungerte. Umgekehrt haben europäische Tier- und Pflanzenarten fremde Länder besetzt, als wollten sie es den menschlichen Kolonisatoren nachtun.
Natürlich ist das kein Zufall, Aussiedler aus Europa wollten etwa die neue Heimat mit Amsel, Drossel, Fink und Star der alten etwas ähnlicher machen oder mit Schafen und Kaninchen Nahrungsquellen exportieren. Mit der Folge, daß "ökologische Siegertypen" verwilderten, der Urbevölkerung die Nahrung wegfraßen und diese zurückdrängte, bis in Reservate, bis zur Ausrottung.
Eindringliche und ausführliche Kapitel gelten dem Fall Neuseelands, das von "biologischen Invasionen" besonders gebeutelt wurde. Hier gab es einst keine Säugetiere und keine Schlangen, aber eine Vielzahl einzigartiger, endemischer (nur hier vorkommender) Vögel wie den Kiwi, den Kakapo oder den bis zu drei Meter großen Moa. Als die polynesischen Maori auf die menschenleeren Inseln kamen, brachten sie Ratten mit, denen viele Vogelarten zum Opfer fielen; Jagd und Brandrodung taten das ihre. Um ein Vielfaches schlimmer wüteten einige Jahrhunderte später die Europäer und ihre mitgebrachten Lieblinge. Zahlreiche Arten sind verschwunden, von anderen gibt es nur noch wenige Exemplare, deren Erhaltung aufwendige Schutzmaßnahmen erfordern.
Kegel ist ein Meister darin, komplizierte Sachverhalte (und die Ökologie ist immer kompliziert) in spannende Geschichten zu verwandeln. So fiebert man der Lösung des Rätsels, warum auf Guam keine Vögel mehr leben, entgegen wie in einem Krimi: Der Mörder war eine mit Militärflugzeugen eingeschleppte Schlangenart. Oft bekommt die Darstellung selbst etwas Kriegerisches (und die Zurückdrängung aggressiver Schädlinge ist manchmal eine im Wortsinne blutige Angelegenheit). Bei der "hoppelnden Besiedlungsfront" der Kaninchen in Australien klingt das putziger, als es ist, der Vormarsch der Killerbienen auf dem amerikanischen Kontinent gleicht dann wieder einem Horrorfilm. Science-fiction meint man zu lesen, wenn man von Pharaoameisen hört, die sich in Computern einen Lebensraum geschaffen haben, dort die Schutzgele der Kabel anfressen und für Systemabstürze und Elektrobrände sorgen. Aber die krabbelnden Datenkiller sind schon unter uns.
Spektakuläre Vorfälle wie Piranhas in französischen Flüssen oder Papageien in deutschen Stadtparks machen in Zeitungsmeldungen die Runde. Im Rhein aber, schreibt Kegel, "hat sich eine Revolution abgespielt, und kaum einer hat es gemerkt". Der Fluß ist wieder sauber und voller Leben - aber was da kreucht und schwimmt, hat fast nichts mit dem zu tun, was dort früher anzutreffen war. Die überwältigende Mehrheit der Unterwasser-Bevölkerung sind "Neozoen" wie die wissenschaftliche Bezeichnung für Neubürger lautet. 63 neue Tierarten sind in der Nach-Chemie-Ära aufgetreten, die mit den Verhältnissen besser zurechtkommen als die "Urbewohner": zum Beispiel der Schlickkrebs, die asiatische Körbchenmuschel oder die chinesische Wollhandkrabbe.
Was dies bedeutet, vermag niemand zu sagen, zumal die neue Lage alles andere als stabil ist; schon in ein paar Jahren können andere "Siegertypen" den Rhein dominieren. Kegel sieht in Deutschland eine bedenkliche Abneigung gegenüber invasionsbiologischen Fragestellungen. Die Deutschen fürchteten den Vorwurf des "biologischen Rassismus", ja, sie übertrügen einen "ausländerfreundlichen" Ansatz ungeprüft auf das Tier- und Pflanzenreich. Dabei könnte die Invasionsbiologie ein Modell abgeben für die in der deutschen Gesellschaft so umstrittene Gentechnologie, von der die einen alles Heil und die anderen ausschließlich Unheil erwarten.
So haben Invasionsbiologen Erfahrungen mit dem, was Genetiker mit Freilandversuchen gerade herausbekommen wollen: Das Verhalten eines neuen Lebewesens in einer bestimmten Umgebung. Gentechniker und Ökologen, so Kegel, müßten sich zusammensetzen, anstatt aneinander vorbeizureden und sich hier in Fortschrittseuphorie, dort in ablehnenden Fundamentalismus hineinzusteigern. Kegel verhehlt allerdings nicht, daß sich das Gefahrenpotential vergrößert. Denn jedes gentechnisch veränderte Lebewesen ist auch ein potentieller Eroberer. Und die Folgen einer Freisetzung sind fast nie vorauszusagen.
Deshalb sind auch viele gutgemeinte Versuche, biologische Katastrophen "sanft" zu korrigieren, gescheitert. In Australien sollten Wiesel die Kaninchen bekämpfen und wüteten bald schlimmer als diese. Und in Jamaika setzte man Ameisen auf eine Rattenplage an, dann giftige Aga-Kröten auf die Ameisen und schließlich Mangusten auf die Kröten. Jetzt hat man alle vier Schädlinge zugleich - und viele einheimische Arten verloren.
Neue Westfälische Zeitung vom 13.2.1999
Still und effizient
Von Eckhard Britsch
Invasionen werden im menschlichen Bewußtsein mit kriegerischen Ereignissen gleichgesetzt. Da waren die Spanier, welche die Azteken niedermetzelten, oder Attila, der Hunnenreiter, der ganze Kontinente niederwalzte.
Im derzeitigen, von Science-fiction-Romanen geprägten Zeitgeist kommen die Invasoren gar von anderen Sternen und manipulieren die armen Menschenwesen. Von stilleren, schleichenden, lange unbemerkten Invasionen berichtet hingegen der Biologe Bernhard Kegel in seinem ausgezeichneten, wirklich spannend zu lesenden Sachbuch "Die Ameise als Tramp". Der Autor versucht dabei eine Bestandsaufnahme, wie sich explosionsartig ausweitende menschliche Reiselust und nicht minder explosionsartig ausdehnende Verkehrsnetze auf Fauna und Flora auswirken. Barrieren, die vor Jahrhunderten unüberwindlich schienen, existieren nicht mehr. Kanäle (Suez, Panama) durchschneiden Landbrücken; Flugzeuge überwinden in wenigen Stunden Klimazonen und Kontinente, in ihrem Gepäck reisen Bakterien, Viren, Samenkörner, aber auch wanderlustige Schlangen und jede Menge Insekten mit. Schiffe durchpflügen die Meere, am Rumpf von Muscheln oder Algen übersät, die in neuer Umgebung plötzlich explosionsartig sich vermehren.
Was bewirken andere Arten in neuer Umgebung? Was richtet der Mensch mit gewollten Umsiedlungen, etwa dem (berühmten) Karnickel in Australien an? Welche Folgen entstehen für Mensch und Umwelt? Als kleines Beispiel für das Gefährdungspotential seien die wahren Herrscher der Erde, die Insekten, genannt, die jetzt sogar in das Innere von Computern vordringen: Still, doch effizient haust dort die Pharao-Ameise und labt sich an lecker schmeckenden Kabelummantelungen. Systemabstürze, Kabelbrände, Datenverluste werden mitgeliefert, wenn "Die Ameise als Tramp" verreist.
Bernhard Kegels Bestandsaufnahme ist vielfältig und umfassend; er vergleicht Gegenwart mit Historie, soweit diese nachvollziehbar ist; er schreibt kurzweilig, dennoch ohne Komplexitätsverlust. Aber er schärft den Blick dafür, welche ungeheuren Umwälzungen sich unmittelbar in unserem Blickfeld abspielen. Das Thema geht uns alle an, denn alle sind zwangsläufig davon betroffen.
Die Woche vom 26.3.1999
Bernhard Kegel
Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen
Ammann, Zürich
Piranhas in der Garonne, karibische Killeralgen im Mittelmeer. Gedankenlosigkeit, Unvorsichtigkeit, Zufall oder Absicht sind im Spiel, wenn immer mehr Tier und Pflanzenarten das menschengemachte Netz von Verkehrswegen nutzen, das bis dato unüberwindbare Grenzen aufhebt. Eine überwältigende Beispielfülle für diese spezielle Art von Tourismus konfrontiert uns mit kaum zu kontrollierenden Auswirkungen. Was die Lektüre besonders spannend macht: Das Thema Invasionsbiologie ist keineswegs abstrakt oder lebensfern. Das neueste Kapitel wird gerade aufgeschlagen: es heißt transgene Invasoren. Bon voyage!