Inge und Werner Grüter-Preis für Wissenschaftspublizistik 2001
Laudatio anld_lich der Verleihung des Preises
von Matthias Glaubrecht, gehalten am 16.9.2001 in Berlin im Medizinhistorischen Museum
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
Lieber Preisträger,
auch wenn uns die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Woche auf brutale Art gezwungen haben, uns auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu besinnen, auch dann werden Sie mir zustimmen, dass Wissenschaft ein wichtiger Faktor in unserem Leben darstellt, dass Wissenschaft eine Konstante unserer Zivilisation und Gesellschaft ist.
Allerdings: Bei der Vermittlung dieser Wissenschaft - bei der Verständlichmachung von Forschung, ihren Möglichkeiten und Grenzen - treiben wir mitunter Unverständliches.
Ich will hier gar nicht darauf herumreiten, dass das PUSH-Programm oder der Communicator-Preis - die ja den Dialog der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit fördern sollen - dass sich diese Programme und Preise bezeichnenderweise englische Namen gegeben haben. Ich möchte hier vielmehr der weit wichtigeren Frage nachgehen, wie denn Wissenschaftler ihre Forschungen vermitteln. Auch die Hochdekortierten unter ihnen tun dies mitunter etwa so - Ich zitiere:
"Wenn die strings neben ihren normalzahligen Dimensionen der Zeit und des Raums zusätzlich noch Grassmann-Dimensionen haben, entsprechen die Kräuselungen Bosonen und Fermionen".
Geschrieben hat das der Physiker und vielgelobte Autor Stephen Hawking in seinem jüngsten Sachbuch Das Universum in der Nußschale. Bekannt geworden ist Hawking mit seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit", das weltweit 10 Millionen mal verkauft wurde und damit der größte Sachbucherfolg aller Zeiten ist. Allerdings dürfen wir getrost davon ausgehen, dass die wenigsten Käufer dieses Buch wirklich gelesen oder gar verstanden haben, so ein Kommentar von Ulrich Schnabel jüngst in der ZEIT. Spötter behaupten deshalb, es sei das "meistverkaufte ungelesene Buch seit der Bibel".
Ganz ähnlich dürfte es sich mit dem 1985 erschienenen Band von Douglas Hofstadter verhalten: das geflochtene Band um Gödel, Escher, Bach - auch dies ein Kultbuch fürs Bücherregal, das übrigens meist nicht weit entfernt steht von Umberto Ecos "Foucaultschem Pendel" oder von der "Insel des vorigen Tages" - beides Barockromane, bei deren Lektüre man den Brockhaus immer in Reichweite haben sollte.
Einen anderen Weg, um der Öffentlichkeit Wissenschaft nahe zu bringen, geht unser Preisträger Bernhard Kegel. Seine Bücher verkaufen sich - bislang jedenfalls - noch nicht zehnmillionenfach; dafür aber werden sie offenbar gern gelesen - und ich bin ganz sicher: sie werden auch verstanden.
Bernhard Kegel geht insofern einen ungewöhnlichen Weg, weil er wissenschaftliche Romane schreibt, Science-fiction - wenn Sie so wollen. Und das ist bei der Vermittlung von Wissenschaft noch immer ungewöhnlich - zumindest in Deutschland. Sie wissen ja: Es ist dies jenes Land, wo man als Wissenschaftler leider erst mit Habilitation und Professorentitel ernst genommen wird - und oft schon gar nicht, wenn man sich in die angeblichen populärwissenschaftlichen Niederungen begibt.
So ganz geheuer war offenbar auch Bernhard Kegel dieser Umstand nicht. Und so hat er sich ursprünglich um den Grüter-Preis für Wissenschaftspublizistik nur mit seinem Sachbuch beworben; einem Sachbuch mit dem schönen Titel "Die Ameise als Tramp"; ich komme gleich darauf zurück.
Ungewöhnlich - und nicht nur deshalb zugleich auch preiswürdig - fanden wir dagegen Bernhard Kegels Versuch, Wissenschaft auch in Romanform verpackt zu servieren. Er hat dies 1993 erstmals in seiner Gentechniksatire "Wenzels Pilz" getan, in der gentechnisch veränderte Lebewesen erst freigesetzt werden - und sich dann größere Freiheiten im Ökosystem herausnehmen als ihnen zugedacht waren. Bereits recht früh hat Bernhard Kegel in diesem Roman viele Aspekte dessen vorweggenommen, wie sich in unserer Gesellschaft in Zukunft unser Verhältnis, unsere Einstellung zum Leben verändern könnte, wenn Gentechnik alltäglich wird und unsere Gene zur nur mehr manipulierbaren Information degradiert werden.
Nach diesem Blick in die Zukunft folgte dann 1996 mit dem Roman "Das Ölschieferskelett" die Rekonstruktion der Vergangenheit - eine skurrile Zeitreise und Paläontologie-Kolportage, in der Kegel ebenfalls erzählerisch Wissenschaft vermittelt - und in der er dem Leser zugleich einen intimen Blick in den Wissenschaftsbetrieb ermöglicht. Weniger die Phantastik der Schilderung und die leicht durchschaubare Fiktion - immerhin taucht da ein 50 Millionen Jahre altes menschliches Skelett komplett mit Armbanduhr und Zahnkronen auf -, als vielmehr die Präzision kleiner Beobachtungen aus den Alltag der Wissenschaft macht dieses Buch lesenswert. Und es läßt einmal nicht Politiker, Polizisten oder Börsenmakler zu Romanfiguren werden, sondern hier ist das Denken und Handeln von Forschern das Thema. Kegel macht damit deutlich, dass Wissenschaft sehr wohl spannend und lebendig sein kann - und erlebbar auch für Nicht-Wissenschaftler.
Ich habe deshalb keinen Zweifel, dass auch sein neuester, soeben erschienener Roman mit dem Titel "Sexy sons" wieder ein Lesevergnügen sein wird - ein Buch, das ganz nebenbei einen Blick hinter die Kulissen der Wissenschaft erlaubt.
Nun, wer ist dieser Bernhard Kegel? - Woher verfügt er über so intimen Einblick in den Wissenschaftsbetrieb. Ich darf Ihnen den Autor kurz vorstellen: Bernhard Kegel, Jahrgang 1953, hat in Berlin an der Freien Universität Biologie studiert und wurde von der Technischen Universität, an der er auch einige Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, 1991 promoviert - und zwar mit einer agrarökologischen Arbeit über "Freiland- und Laboruntersuchungen zur Wirkung von Herbiziden auf Laufkäfer". Er ist also eigentlich ein Käferspezialist und Insektenforscher. Er war anschließend im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz in verschiedenen Projekten zur Bestandsaufnahme in Berlin heimischer Tiere beschäftigt, bevor er 1996 den mutigen Schritt wagte, sich fortan als freier Schriftsteller und Publizist zu betätigen und sich ganz dem Schreiben zu widmen.
Natürlich ist deshalb auch in erster Linie die Unterhaltung Kegels Ziel. Aber seine beiden Zeitreisen in die Zukunft und die Vergangenheit sind zugleich eine Besichtigungstour der wissenschaftlichen Gegenwart. Sie befinden sich auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft, nur dass sich eben die fundierte Sachkenntnis mit erzählerischen Qualitäten verbindet.
Diese fundierte Sachkenntnis geht soweit, dass Bernhard Kegel mit der Ameise als Tramp 1999 ein Sachbuch vorgelegt hat, das erstmals - und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum - in Buchform die weltweiten Auswirkungen biologischer Invasionen untersucht und an einer Fülle von Beispielen darstellt. Bis dahin war es vielen Biologen und auch Nicht-Biologen verborgen geblieben, dass die Menschheit derzeit ein Experiment mit globalem Ausmaß durchführt. Nur durch langwierige plattentektonische Bewegungen kam es bislang in der Geschichte der Erde zu einem vergleichbaren Austausch von Tieren und Pflanzen, der Fauna und Flora von ganzen Kontinenten. Dieser Austausch über in geologischer Zeit entstandene Landverbindungen führte mehrfach zum Erlöschen vieler Arten und zum Verschwinden ganzer Evolutionslinien.
Heute führt der Mensch diese Wanderbewegung rund um den Globus an. Im Zuge seiner Globalisierung sorgt er auf vielfältige Weise für das Einschleppen ganz fremder Tier- und Pflanzenarten in Regionen, wo sie nichts zu suchen haben - aber eben unglücklicherweise oft umso mehr finden - und umso besser zurecht kommen. Der Mensch wiederholt damit ein Experiment, das in diesem Ausmaß zuletzt während der Kreidezeit - vor dem Aussterben der Dinosaurier - stattfand.
Bernhard Kegel beschreibt in seinem Buch Pharaoameisen, die sich in Computern häuslich einrichten, Pilze und Papageien, die sich breitmachen, Schlickkrebse und Zebramuscheln, die sich massenhaft ausbreiten und Millionenschäden verursachen. Dank des Themas, aber auch aufgrund der angemessenen, nüchtern-abwägenden Sprache und Darstellung des Autors liest sich selbst dieses Sachbuch eigentlich wie ein Krimi. Auf anschauliche Weise behandelt es vergangene Invasionswellen, gegenwärtige Verdrängungskämpfe und wagt einen Ausblick auf zukünftige biologische Bedrohungen.
Es gibt also eine Vielzahl von Argumenten, Bernhard Kegel mit dem diesjährigen Inge und Werner Grüter-Preis für Wissenschaftpublizistik auszuzeichnen. Ich bedaure, dass ich hier aufgrund der gebotenen Kürze der Laudatio diese Argumente nur umreißen kann. Ich kann Sie aber auf die Lektüre seiner Werke verweisen, und Ihnen wünschen, dass sie auch Ihnen ein großes Lesevergnügen bereiten mögen.
Seine Bücher - seien es nun das Sachbuch oder die Romane - sind ein Plädoyer für die Forschung, für die Wissenschaft als wichtigen Teil unserer Kultur und Gesellschaft. Der Preis gebührt Bernhard Kegel, weil er sich - mehr als so mancher Wissenschaftler mit Habilitation und Professur - darum bemüht hat, Wissenschaft einer möglichst breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.
Sein Versuch, dies mit erzählerischen Mitteln zu tun, bedeutet ein Wagnis und eine Gradwanderung - eine Gradwanderung, bei der er indes mit sicherem Schritt die Balance gehalten hat zwischen dem Anspruch an Verständlichkeit und Unterhaltungen auf der einen Seite und dem Anspruch an sachliche Richtigkeit und Wissenschaftlichkeit auf der anderen Seite.